Die Leiden des jungen Milham - Teil 04

Ich bin drin und verunsichert

Wir waren damals, fast noch Kinder, neu eingestiegen in das Leben von dem wir meinten dass die Erwachsenen es führen würden. Alles größer und besser und teurer. Und unbezahlbarer, aber das war dann wieder eine andere Geschichte. Solltet Ihr an Geschichten eines jungen Sackes der zum alten Sack wird Interesse haben dann meldet Euch ruhig, aber es ist langweilig.

„Hallo Shomat, was machst Du denn hier in der edlen Behausung? Und warum in einer derart herunter gekommen Umgebung?“
„Tarnung, alles Tarnung. Weißt ja noch wie es damals war als wir um die Häuser gezogen sind. Du warst getarnt als Harter Hund und ich als noch Härterer. Und als wir verprügelt wurden flog immer die ganze Tarnung auf und wir mussten uns andere Häuser suchen. Ach Gott, und alles weil wir dumm und arm waren.“
„Und jetzt? Bist Du reich?“
„Ich muss zumindest nicht mehr drüber reden. Dafür habe ich jetzt andere Sachen über die ich reden muss. Mit Dir reden muss.“
„Klingt nicht gut, oder doch. Spannend. Aber ganz ehrlich, ich versuche endlich auf die helle Seite des Lebens zu kommen und dann kommt ein alter Freund und erzählt mir alles nur mit düsteren Hinweisen. Ehrlich, trotz aller Freundschaft: ich will einer der Guten werden. Und ich verzichte auf Vieles das ich mit ein wenig düsterer Einstellung erreichen könnte.“
„Genau das mache ich auch, aber groß. Weißt Du was groß ist? Okay, und dann noch mal was großes drauf und dann verdoppeln. Das mache ich. Auf der hellen Seite. Und ich bin am Verlieren.“
„Wie kann man verlieren wenn man so groß ist?“
„Weil die Dunklen mindestens so groß sind.“
„Wer ist das?“
„Tja, das sind die Anderen. Kennst Du die? Wenigstens einen von denen?“
Naja, ich kannte nicht wirklich einen.
„Nein, ganz ehrlich. Ich wusste gar nicht dass es Dunkle gibt die mächtig sind. Ich dachte immer man wäre dunkel weil man ein Versager sei und vielleicht nicht ganz so helle.“

Er überlegt gerade, oder er tut wenigstens so. Wie gesagt, ich bin nicht besonders klug und vielleicht überlegt er wie er es einem wie mir erklären könne. Anscheinend (oder offensichtlich?) benötigte er Hilfe und er scheint ein wenig allein zu sein. Ob privat, beruflich oder in seinem „Kampf“ das kann ich noch nicht beurteilen, aber ich bin entschlossen das raus zu finden.

„Setz Dich erst mal. Immer noch Cuba Libre?“
Ich setze mich wortlos (ey, bequem) und beschließe, mich belabern zu lassen. Die Tendenz „spannend“ nimmt Fahrt auf.
„Ich verstehe. Mit oder ohne Limette?“
„Ist die Limette auch kostenlos?“
Ich krieg den Drink mit Limette.

„Worum geht es?“
„Um alles.“
Das sitzt. Das sitzt so richtig.

Wir saßen ein Mal schweigend nebeneinander. Also so, dass wir uns nicht gegenseitig unsere Heldentaten an den Kopf geschmissen haben. Nur ein Mal. Das war als ich ihn erwischt hatte dass er meine Freundin geküsst hat. Oder sie ihn, wir konnten das nie richtig klären.
Es war geschehen und wir versuchten mit aller Kraft, unsere Freundschaft nicht platzen zu lassen. Wir schwiegen.
Sie hatte dann jemanden völlig anders geküsst und da war Schweigen nicht das Mittel der Wahl. War es auch nicht. Seit dieser Zeit jage ich einen Schatten. Immer einen Fehler hinterher.

Was soll das also jetzt? Ich spiele ein bisschen auf Zeit und warte bis er rausrückt, aber ich weiß nicht wie lange ich meine Neugier noch zügeln kann. Es juckt und bei ihm ist es auch so, ich spüre es. Jahre sagen das.

„Und zwar ...“
Jetzt wusste ich dass es ihm unter den Nägeln brannte. Er ist zu intelligent um einen Satz so zu beginnen. Oder eine Bitte so zu formulieren oder überhaupt. Mein Körper erhöhte automatisch seine Spannung.
„Und zwar sind wir am Rückzug. Die Dunklen sind stark, sehr stark und momentan gehen wir am Zahnfleisch daher. Und wir dürfen nicht verlieren sonst sind wir verloren. Und nicht nur wir sondern auch Ihr und Es, was immer das sein mag. Ich ich mag etwas nicht: Finsternis. Finsternis ist nicht gleich Dunkelheit. Über die Dunkelheit gibt es immer noch gute Sprüche wie das mit dem Munkeln, aber Finsternis ist was anderes. Finsternis ist die Dunkelheit des Herzens. Die Dunkelheit in allem.“

„Ich verstehe zwar kein Wort aber Du sitzt echt in der Scheiße, oder?“
‚„Nein, nicht ich. Wir.“
Wir?
„Wer ist wir?“
„Kennst Du noch die Jedina? Als sie noch Frau und keine Hure war?“
„Muss das sein?“ Eine reingewürgt.
„Nö, aber da kommst Du schneller auf Touren. Du funktionierst oder auch nicht immer noch nach dem selben Prinzip.“
„Ja, ich kenne sie. Hat heute Vormittag angerufen“
„Stimmt, ich wollte dass sie Dich wach macht. Und? War‘s schön?“
„Sie hat es nicht mal verbal richtig durch die Leitung geschafft, die Türe fand sie anscheinend nicht. Und wenn: ey, ich bin kein so ein Arschloch mehr dass ich es ausnutzen würde!“
„Ich dachte es mir, aber du wurdest wach, oder etwa nicht?“
„Ja, und dann musste ich raus in das was Du vielleicht gar nicht mehr mal kennst in deinem - Palast hier. Warum darfst Du hier wohnen und ich nicht? Warum lässt Du Jedina verkommen und stehst da als - als was weiß ich was. Dir geht es gut und sie muss schlucken was sie kriegt.“
„Ne, was sie bekommt. Sie ist nicht mehr so fit wie zu deiner Zeit“

Es ging in eine Richtung die mir nicht sehr behagte. Nein, ich habe noch nie jemanden geliebt und schon gar nicht jemanden der auf der ganzen Linie versagt. Oder wenigstens mit der Linie auch nicht glücklich wird. Nicht mal besser gelaunt.

„Okay, Jedina verdränge ich jetzt und Du sagst mir endlich warum ich wach werden musste.“
„Weil es uns an den Kragen geht. Kennst Du das gute alte Tauziehen? Das war übrigens die erste olympische Sportart, noch unter Coubertain.“
„Weiß ich, das haben wir ja sogar bis in die 60er auf den Kinderfesten gespielt. Mann, ich war so schlecht weil ich so dünne Beinchen hatte. Die Arme waren in Ordnung, aber die Beinchen kriegten halt keinen Stand und beim zurück Lehnen gaben sie immer nach. Bitte erinner mich nicht an so was.“
„Aber genau um so was geht es. Es geht um eine Art Tauziehen. Dunkel gegen Hell. Oder Hell gegen Dunkel, ganz wie Du es willst. Wir haben kein Gleichgewicht mehr, es bleibt nicht mehr, dass sich Dunkel und Hell abwechseln mit der Dämmerung, die Dämmerung schwindet Richtung Nacht. Willst Du Nacht?“

Ich bin platt. Shomat war bisher „Titten.Pussy.Bier“ und jetzt wird er ganz differenziert und schwafelt. Oder auch nicht. Trotz Titten und so weiter war er ja immer intelligent. Was heißt war: man wird nicht unintelligent wenn man mal intelligent war, man wird höchstens dümmer weil man viel vergisst . Das hat ja nichts mit Intelligenz zu tun.
Er ist der Gleiche aber seine Sorgen sind andere. Und ich bin sein Freund und er hat mich angerufen weil er Sorgen hat. Es gibt kein zurück, ich muss ihn wenigstens anhören und ihm dann helfen. Und was ich bisher mitbekommen habe helfe ich mir dann auch selbst.
Ja, ich könnte der Sache aus dem Weg gehen aber das würde mich in meiner Selbstachtung wieder nach hinten werfen. Außerdem gefällt es mir hier recht gut. Vielleicht kann ich mir ein wenig was von dem Kuchen abschneiden.

„Ich brauche Deine Hilfe. Nicht weil Du besonders gut bist oder sonst was, aber Du hast die Eigenschaft, sehenden Auges eine einzustecken. Du bist zwar auch da nicht sonderlich gut aber du machst die Augen nicht zu. Deswegen brauche ich Dich..
Nicht weil Du ein Held bist, versteh mich nicht falsch, ich habe dich absichtlich angerufen, sondern weil du wie ein Bekloppter kämpfst wenn Du von was überzeugt bist. Ich brauche einen der mit Gehirn schlägt.“
„Aha“
„Bist Du immer noch mit Hirn unterwegs? Deine Beine haben‘s ja niemals so richtig gebracht. Also, wie ist es mit Hirn? Bist Du noch schnell oder bist Du mittlerweile gründlich wie ein alter Depp?“
„Schnell, zu mehr reicht es nicht. Schnell und schlampig“
„Okay, das habe ich erwartet. Du bist also dabei und ich habe mich nicht getäuscht. Morgen um Acht.
„Und wenn ich nicht will?“
„Morgen um Acht.“

Das ist ein Verabschiedung. Ganz klar habe ich mich morgen um acht einzufinden und dann geht es weiter.

Ich muss raus aus dem Haus nur um morgen wieder zu kommen, was für ein Unsinn. Hier ist es schön aber ich weiß ich komme wieder.



Die komplette Geschichte (bis jetzt) findet Ihr hier

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